25. September 2024 — Medienmitteilung

Kraftakt nötig: Hunderte Wasserkraftwerke müssen noch saniert werden

Die Wasserkraftwerke in der Schweiz sind noch nicht fit für die Zukunft: Erst 45 Prozent der 1000 gemeldeten Sanierungsprojekte befinden sich überhaupt in Planung, 10 Prozent sind bereits umgesetzt oder derzeit in der Umsetzung. Das zeigt der heute vom Bundesrat veröffentlichte Sanierungsbericht Wasserkraft. Die Zeit drängt. 

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Gewässer

•    Bis 2030 müssen bestehende Anlagen ökologisch saniert werden. Diese Frist ist schon lange bekannt. Ebenso, dass die bisherigen finanziellen Mittel dafür nicht ausreichen.

•    Nun muss der Bund den Turbo zünden und rasch die erforderlichen Mittel bereitstellen. Sonst werden künftig bei zahlreiche Wasserkraftwerke die gesetzlichen Vorgaben nicht eingehalten.

•    Die Vereinbarung zum Runden Tisch Wasserkraft bezieht sich nicht nur auf die 15 Projekte, sondern sie sieht auch vor, dass die ökologische Sanierung der bestehenden Wasserkraftwerke rasch und gemeinsam angegangen und ausreichend finanziert wird.
 

Zitat Gabriel Cisarovsky, WWF-Gewässerexperte: 
«Verbände, Kantone und die Branche waren sich am Runden Tisch Wasserkraft einig: Die Sanierung der Wasserkraft ist dringend mit den notwendigen Mitteln auszustatten. Die Akteure aus der Branche sind bereit, jetzt muss die Politik die notwendigen Ressourcen für die Umsetzung bereitstellen.»

Der Gewässer-Lebensraum ist für die Biodiversität besonders wichtig: Über 80 Prozent der bekannten 45 000 Tier- und Pflanzenarten der Schweiz kommen in und an Gewässern vor. Doch dieser Lebensraum steht besonders stark unter Druck: So sind von den 75 einheimischen Fisch- und Krebsarten insgesamt 70% gefährdet, vom Aussterben bedroht oder bereits ausgestorben.

Im Jahr 2023 waren in der Schweiz 701 Wasserkraftwerke mit einer maximal möglichen Leistung ≥ 300 kW in Betrieb, die ca. 60 Prozent des hierzulande produzierten Stroms liefern. Dazu kommen noch ca. 900 Kleinstwasserkraftwerke (Leistung < 300 kW; Stand Januar 2018). Viele Wasserkraftanlagen an unseren Flüssen und Bächen wurden zu einer Zeit gebaut, als man sich der negativen Auswirkungen nicht bewusst war. Man nahm daher kaum Rücksicht auf die Natur. Doch von der Wasserkraft als einer umweltfreundlichen Energieform kann erst dann gesprochen werden, wenn sie auch umweltverträglich ausgestaltet ist.

Negative Auswirkungen abmildern
Mit der Revision des Gewässerschutzgesetzes von 2011 als indirektem Gegenvorschlag zur Volksinitiative "Lebendiges Wasser" wurde festgelegt, dass die Schweizer Gewässer wieder lebendiger und artenreicher werden sollen. Dazu sind u.a. die negativen Auswirkungen der Wasserkraftnutzung abzumildern. Bis 2030 müssen bestehende Anlagen bzgl. Fischwanderung, Geschiebedynamik und künstlichen Abflussschwankungen (Schwall-Sunk) saniert werden.
Die Frist ist also schon lange bekannt. Ebenso, dass die finanziellen Mittel, die über den Netzzuschlag (0.1. Rp/Kwh) erhoben werden, dafür nicht ausreichen. Der Stand der Umsetzung ist zudem je nach Kanton und je nach betrachtetem Sanierungsbereich sehr unterschiedlich.

Sanierung ist Kernelement des Runden Tischs Wasserkraft
Ein zentrales Element der Absichtserklärung zum Runden Tisch Wasserkraft sind die Empfehlungen, wie der Ausbau der Wasserkraft möglichst naturverträglich und effizient umgesetzt werden soll. Dazu gehört, dass die ökologische Sanierung bestehender Wasserkraftwerke gemäss bestehenden gesetzlichen Vorgaben rasch und koordiniert angegangen sowie ausreichend finanziert werden sollen.

Weitere Infos: 

Bericht Stand ökologische Sanierung Wasserkraft 2022

Kontakt
Jonas Schmid, WWF Schweiz, jonas.schmid@wwf.ch, 079 241 60 57

 

Glossar
 

Fischgängigkeit: Wehre und Dämme stellen Hindernisse für Fische dar. Je nach Lebensphase  wandern Fische jedoch in unterschiedliche Gewässerabschnitte, häufig über weite Distanzen (z.B. Forellen über mehrere Kilometer, Nasen und Barben mehr als 100 km, Lachse mehr als 1000 km). Diese Wanderungen (fluss auf- und/oder abwärts) in die verschiedenen Teillebensräume sind für die meisten Fischarten überlebenswichtig. So brauchen sie zum Beispiel artspezifische Kinderstuben und einen spezifischen Lebensraum zur Überwinterung. Fehlt nur ein einziger Teillebensraum bzw. ist dieser nicht mehr erreichbar, kann der Kreislauf des Lebens nicht geschlossen werden. Dadurch werden Fischpopulationen dezimiert und sterben im Extremfall aus.

Geschiebe: Geschiebe spielt eine grosse Rolle für die Gewässerökologie, die Wasserqualität und das Grundwasser. Unter «Geschiebe» versteht man Kies und Steine mit Durchmesser zwischen 2 und 20mm, welche über den Flussboden gleiten oder rollen. Das vom Oberwasser zugeführte Geschiebe ersetzt durch Hochwasser erodiertes Material und führt zu einer regelmässigen Erneuerung von Kiesbänken und des Substrats. Wasserkraftwerke sind mitverantwortlich für die Unterbrechung des natürlichen Transports von Geschiebe in unseren Bächen und Flüssen. Weiter unten fehlen dann Kies und Sand, zentrale Elemente für viele Lebensräume und die Fortpflanzung vieler Arten, wie zum Beispiel Forellen, Nasen, Äschen und Lachse lockere, die gut durchströmte Kiesbänke zur Eiablage benötigen.

Schwall-Sunk: Als Schwall und Sunk bezeichnet man die täglichen Abflussschwankungen, die durch den Betrieb von Speicherkraftwerken entstehen. Dabei werden in Zeiten mit hohem Strombedarf (und Strompreisen) grosse Wassermengen turbiniert und ins Gewässer geleitet, was dort zu einem Abflussmaximum führt (Schwall). In Zeiten mit geringer Stromnachfrage (in der Nacht, an Wochenenden und über Feiertage), geht die turbinierte Wassermenge und die Wasserrückgabe in den Fluss auf ein Minimum zurück (Sunk). Im betroffenen Gewässerabschnitt können die Abflüsse so innert Minuten auf ein Vielfaches ansteigen und wieder absinken. Im Gegensatz zu natürlichen Hochwassern treten Schwallabflüsse sehr oft und häufig auf. Zudem steigt und fällt der Abfluss deutlich schneller als bei einem natürlichen Hochwasser. Für die Gewässerlebewesen können diese künstlichen Abflussschwankungen verheerende Folgen haben: Lebewesen werden bei Schwall fortgespült, während sie bei Sunk auf dem Trockenen stranden. Fisch-Laichareale fallen bei Sunk trocken und werden bei Schwall erodiert. Viele Lebensräume werden durch das Wechselbad schwer beeinträchtigt oder gehen verloren, und mit ihnen viele Tier- und Pflanzenarten.

Video zu den Auswirkungen von Schwall-Sunk für Wasserlebewesen:  https://www.wwf.at/artikel/schwall-und-sunk/